The Battle – Ten Years After:
Mittelrhein Großes Gewächs 2011
Toni Jost vs. Ratzenberger
Sie liefern sich ein stetes Kopf-an-Kopf-Rennen: das Weingut Toni Jost, im idyllischen Bacharach mitten an der Hauptstraße gelegen, die den historischen Ortskern durchquert – und das Weingut Ratzenberger, deutlich oberhalb des Ortskerns gelegen im Bacharacher Ortsteil Steeg.
Lange Zeit hatte Toni Jost die Nase vorn. Zumindest nach Hektarn. Im ohnehin schon kleinen und wenig bekannten Anbaugebiet Mittelrhein war Toni Jost immer der größte und irgendwie auch bekannteste Betrieb. Beispiel Hamburg: Sofern man überhaupt Mittelrhein im Weinhandel fand, war es meist ein Toni Jost.
Das hat sich gedreht. Zumindest das mit den Hektarn. Als Familie Ratzenberger vor einigen Jahren die Gelegenheit beim Schopfe ergriff, einige Hektar Rebfläche hinzukaufen zu können, wurden sie über Nacht zum größten Weinbetrieb am Mittelrhein.
Den 15 Hektar Ertragsfläche bei Toni Jost stehen heute 20 Hektar bei Ratzenberger gegenüber. Mal hat der eine die Nase vorn, mal der andere.
Autor: Edgar Wilkening,
head & heart von wineroom.de
Was also liegt näher,als beide aufzumachen,wenn man sie im Keller findet?
Denn in vielem ist man sich ähnlich: beide im UNESCO-Weltkulturerbe Mittelrhein beheimatet. Beides Familienbetriebe, beide mit klarem Fokus auf Riesling. Beide Mitglied im Qualitäts-Club VDP, beide seit 1987.
Was also liegt näher, als beide aufzumachen, wenn man im Keller auf jeweils eine Flasche Jost und Ratzenberger stößt?
Beides Großes Gewächse. Beide aus dem Jahr 2011 – zum Verkostungszeitpunkt 2021 beide also glatte „ten years after“.
Beide Riesling. Beide auf Devonschiefer gewachsen. Beide mit 14 % Alkohol – was zum einen dem warmen Verlauf des Jahrgangs geschuldet ist, zum anderen aber wohl auch einem damals noch weit verbreiteten Zeitgeist auch im VDP, die Produkte der Premium-Linie mit Wucht auszustatten.
Also dann: raus mit den beiden Korken! Ach, nee – halt …
Denn da hören die Gemeinsamkeiten der beiden schon auf. Das Ratzinger-Gewächs klassisch mit Kork bestückt – doch die Jost-Flasche schmückt ein neuzeitlicher Schraubverschluss.
Und auch die Lagen beider Weine weichen voneinander ab, leider … Das Ratzenberger-GG stammt aus der Lage St. Jost; und das Jost-GG – nee, jetzt nicht aus der Lage St. Ratzenberger … Das wär’s ja wohl noch! Sondern aus der Lage Bacharacher Hahn.
Ja, stimmt: blöd für ’ne Battle. So viele Parallelen! Und dann unterscheiden sich die zwei ausgerechnet bei der Lagenherkunft? Doof. Aber sorry: beides gleiche Lage war hier nicht im Keller. Müssen wir also nehmen, was da ist.
Deshalb treten der 11er Hahn und der 11er St. Jost gegeneinander in den Ring. Und siehe da: auch das ergibt ein spannendes Duell.
Der Ratzenberger aus der Lage St. Jost. Undder Jost im Gegenzugaus der Lage St. Ratzenberger ...? Ne!
Die Nase vorn in Sachen Nase hat ganz klar ...
Beide strahlen mit praktisch gleichem hellem Goldgelb aus dem Glas. Kirchenfenster beim Schwenken deuten auf das Glyzerin hin, das den Weinen ihre vierzehn Umdrehungen verleiht.
In der Nase der Toni Jost aus dem Bacharacher Hahn zunächst mit deutlichem Petrolton, der sich im Laufe der Zeit aber legt. Dahinter die Nase von gereiftem Riesling, üppig, gelbfruchtig, würzig, leicht phenolisch.
Ratzenbergers St. Jost dagegen vollkommen ohne Petrolton. Gereifter Riesling at it’s best: würzig, erdig, einladend, klar. Insgesamt feiner und gleichzeitig vielschichtiger als Toni Jost.
In Sachen Nase liegt der Ratzenberger eine klare Nasenlänge vorne. Und baut diesen Vorsprung im Mund noch konsequent aus.
Der Ratzenberger St. Jost straff, frisch, elegant. Tolle Präsenz, tolle Dichte, feine mittelrheintypische Säure. Und dann irre, irre lang. Eine geradezu prickelnde Salzigkeit, die im Mund bleibt und bleibt und bleibt. Wow! Was schon die Nase versprach: gereifter Riesling in einer schönsten Form. Und trotz der 14 % kein bisschen bräsig.
Dagegen erweist sich der Hahn von Toni Jost als breiter, üppiger, behäbiger. Selbst die Säure will ihm nicht recht auf die Sprünge helfen. Das wirkt müde und gemütlich rundlich gegen den straffen Ratzenberger. Selbst der Schraubverschluss hat da nicht geholfen, genügend Frische über die zehn Jahre zu bewahren.
Ist vielleicht gerade das der Lagen-Unterschied, der sich da bemerkbar macht? Denn Hahn und St. Jost, beide haben Devonschiefer, beide Südausrichtung – ja. Aber während die Lage Hahn sich von 80 Metern über Normalnull bis auf 200 Meter Höhe dehnt, bewegt sich die Lage St. Jost nur im oberen Bereich dieser Range: zwischen 170 und 200 Metern Höhe, insgesamt also in einem kühleren Bereich. Könnte das die Frische begründen …?
Ja, könnte sein. Trotzdem bleibt auch beim Nachverkosten über die nachfolgenden Tage der Eindruck: Das hier sind nicht die unterschiedlichen Lagen, die aus den Gläsern sprechen. Das hier sind die unterschiedlichen Winzer, ihre persönliche Handschrift und ihr unterschiedliches Verständnis davon, was sie als GG auf die Flasche bringen wollten.
Mittelrhein – ten years after: Der Sieg in diesem Duell geht ohne Wenn und Aber ans Weingut Ratzenberger und seinen 2011er St. Jost. Aber es bleibt spannend. Denn mal hat der eine die Nase vorn, mal der andere. Und wer wer weiß schon, wie die Battle beim nächsten Mal ausgeht.
Ist das der Lagen-Unterschied, der da so deutlich aus dem Glas zu uns spricht?
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