Craft-Beer, Gin, Szene-Limos – alle drei mega-angesagt. In Hamburg zum Beispiel schießen die Mikro-Brauereien nur so aus dem Boden, seit Ratsherrn in den Schanzenhöfen den Trend losgetreten hat. Wer es hochprozentiger mag, schließt sich dem 47-Affen-Hype an und destilliert gleich mal seinen eigenen Gin. Allein im Tausend-Meter-Umkreis rund um den wineroom sind mittlerweile sicher ein halbes Dutzend Wacholder-Schnapsbrenner am Start. Und wie viele hippe Limos sich hier in Gastronomie und Regal drängeln, lässt sich an zwei Händen schon nicht mehr abzählen.
Die 3 Szene-Drinks tun, als würden sie in einer Liga spielen mit Wein
Es gibt Bier-Tastings, bei denen man sich trifft, um dem Gerstensaft (so er denn überhaupt noch welcher ist) andächtig hinterherzuschmecken und über Hopfensorten und Bitterskalen zu philosphieren. Es gibt Gin-Tastings, in denen stundenlang debattiert wird, welcher Gin zu welchem Tonic passt und zu welcher Gemüsebeilage – und hin und zurück. Einzig Limo-Tastings sind mir bislang noch nicht über den Weg gelaufen. Falls es sie tatsächlich noch nicht geben sollte, ist es sicher nur eine Frage der Zeit, bis der erste Fritz seine Kola in eine Tasting-Runde wirft.
Es gibt Bier-Sommeliers. Und sicher sind auch ein paar Gin- und Limo-Lover irgendwann so weit, sich „Gin-Sommelier“ oder „Limo-Sommelier“ zu nennen. Warum nicht gleich „Ginnelier“ oder „Limolier“? Dem Blödsinn sind keine Grenzen gesetzt. Schließlich sind mittlerweile auch schon Milch-Sommeliers, Gewürz-Sommeliers und sogar Ketchup-Sommeliers gesichtet worden.
Nichts gegen ein kühles Bier, Gin-Tonic oder eine alkfreie Limo
Nach langen Verkostungen sieht man auch uns wineroomer bisweilen ein kühles Bier zischen. Ein eiskalter Gin-Tonic kann ein herrlicher Auftakt in den Abend sein. Und auch gegen eine Limo gibt es nix zu sagen – selbst wenn wir wahrscheinlich eine Saftschorle bevorzugen würden.
Dennoch: Alle drei Drinks laufen bei uns im wineroom eher in der Kategorie „Erfrischungsgetränk“. In einer Liga mit Wein? Das hätten die drei Szene-Kumpels natürlich gerne. Aber ist da wirklich was dran? Wir haben uns im wineroom rangesetzt und recherchiert: Fakten auf den Tisch. Das Ergebnis präsentieren wir ab heute in unserer achtteiligen Serie „Wein versus Bier, Gin, Limonade“.
Fakten-Check: Wein, Craft-Beer, Gin und Szene-Limo im Vergleich
In insgesamt acht Kategorien werden wir uns die vier Getränke genauer ansehen und detailliert vergleichen. Und dann Woche für Woche hier veröffentlichen. Ein ungeschminkter Blick auf die Tatsachen. Den Anfang macht die Frage, wie viel ihrer wertvollen Rohstoffe die Hersteller bei den städtischen Wasserwerken beziehen. Anders gesagt: Wie viel schlichtes Leitungswasser setzen sie ihren Produkten zu? Vorhang auf für Runde Eins im Faktencheck!
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Hahn aufdrehen und Wasser marsch
Wie hoch ist eigentlich der Anteil an zugesetztem Wasser, wenn man teure Getränke wie Wein, Bier, Gin oder Limo kauft? Wie viel simples Leitungswasser ist dann in der Flasche? Die Fakten sprechen eine klare Sprache: „Hahn auf und Wasser marsch“ heißt es bei Bier, Gin und auch bei Limo.
Etwa 90 bis 95 Prozent billiges Leitungswasser beim Bier – selbst wenn man teures Craft-Beer erwirbt. Okay, manche Brauer haben eigenen Quellen und hegen die. Aber bei den meisten Handelsbieren und gerade im Craft-Beer-Sektor ist meist der Wasserhahn der Haupt-Rohstofflieferant.
Das liegt in der Natur des Brauprozesses: Das Malz wird im Braukessel mit Wasser angesetzt zur Maische. Die genaue Wassermenge variiert, abhängig von der Art des Bieres, das man herstellt, von der verwendeten Malzsorte, von ihrem Extraktwert und weiteren Faktoren. Aber als grobe Faustregel kann man sagen: Für eine Menge X an Bier, wird ungefähr die gleiche Menge X an Wasser verwendet, verteilt auf Hauptguss und Nachguss. Ein Teil des Wassers verdampft während des Sudprozesses, ein Teil verbleibt produktionsbedingt im Maischetrester, ein Teil im Braukessel …
Bei den meisten Bieren befinden sich am Ende etwa 90 bis 95 Prozent Leitungswasser im Glas, je nach Alkoholgradation. Angenommen, so ein Bier kommt für zwei, drei Euro in den Handel – hoppla, da wird aber schönes Geld verdient. Wasser, Wasser und nochmal Wasser ist nicht umsonst das Erfolgsrezept vieler Hersteller, die sich über exzellente Gewinnmargen freuen. Kein Wunder, dass so viele Leute auf den Brau-Trend draufhüpfen. Wer einen Wasserhahn in der Nähe hat, verfügt über eine echte Cash-Cow.
Auch bei der Limo variert die zugegebene Wassermenge. Je nachdem wie viel Fruchtsaft dabei ist, wie viel Zucker aufgelöst werden muss und was sonst noch reinkommt. Festhalten lässt sich auf jeden Fall: Schlichtes Leitungswasser ist bei den meisten Limos im Markt der Hauptrohstoff. Etwa 80 bis 90 Prozent der Rohstoffe für Limonade kommen aus der Leitung. Yeah, da freut sich die Marge!
Einzig der Gin steht etwas besser da. Hier sind es „nur“ 50 bis 60 Prozent Wasser. Auch das ist produktionsbedingt: Nach dem Brennen besteht das Grund-Destillat aus annähernd 100 Prozent Alkohol. So reiner Gin ist nicht trinkbar und erst recht nicht verkehrsfähig. Damit man das Zeug überhaupt in den Handel bringen kann, muss die Alkoholgradation auf irgendwas ab 37,5 Prozent, meist auf irgendwas zwischen 40 und 50 Prozent abgesenkt werden. Sprich: Es muss verdünnt werden. Also Wasser drauf. Oft speziell gereinigtes und neutrales Wasser. Aber wir wollen bei den Fakten bleiben: hin oder her –Wasser ist Wasser.
Wein ist unter den vier Getränken das einzige, das in diesem Punkt vollkommen anders tickt. Klar: Auch Wein enthält am Ende etwa 85 bis 90 Prozent Wasser. Sonst wären Riesling & Co. eine ziemlich staubige Sache. Aber! Großes Aber: Der Wasseranteil im Wein kommt nicht aus der Leitung, sondern aus dem Weinberg. Aus der Traube. Aus der Frucht. Aus ihrem natürlich gewachsenen Saft. Zu hundert Prozent.
Wo andere einfach am Hahn drehen, um ihre Flaschen zu füllen, holt der Winzer jeden einzelnen Tropfen aus dem Wingert. Mehr noch: Wenn bei Bier, Gin und Limo das Wasser der beste Freund der Hersteller ist, betrachtet der Winzer das Wasser als Gegenspieler des Weins. Er versucht den Eintrag von Wasser in den Wein zu vermeiden, wo es nur geht. Klare Ansage: Null-Komma-Null-Null-Null Wasserzugabe beim Wein.
Fazit im Fakten-Check: Runde Eins geht klar an Wein
In einer Liga mit Wein? Wenn ich so mit Wasser rumpladdern würde wie Bier, Gin und Limo, würde ich mal schön die Füße still halten und nicht so große Töne spucken. Runde Eins geht klar an den Wein. Wer so konsequent auf den billigen Rohstoff aus der Leitung verzichtet, kriegt von uns die Siegernadel angeheftet – ohne Wenn und Aber.
Alle veröffentlichten Beiträge dieser achtteiligen Serie finden Sie hier in der Übersicht.
- The Battle – Ten Years After:
Mittelrhein Großes Gewächs 2011
Toni Jost vs. Ratzenberger - 6. April 2021 - Perfekt verkuppelt: Champagner mit Hafenblick und ein Sommelier, der die Korken nicht knallen lässt - 16. September 2020
- Kale and wine – is that possible? A daring food-pairing test of courage - 28. April 2020
Ich habe selten einen derart polemischen Artikel gelesen. Oder ist es einfach lustig gemeint? Oder bloß schlecht gemachte Satire?
Leider ist ser Vergleich auch nochnunvollständig: Mineralwasser fehlt – mit 0℅ Anteil der anstrengend oft bemühten „städtischen Wasserwerke“.
Lieber Peter Horny,
vielen Dank für Ihr Feedback. Sie mögen den Artikel polemisch finden oder lustig gemeint oder wie auch immer – das steht Ihnen natürlich vollkommen frei. Aber halten wir mal fest: An den reinen Fakten haben auch Sie keinen Zweifel. Immerhin da sind wir uns also einig. Das freut mich sehr.
Beste Grüße aus dem wineroom –
Edgar Wilkening