Anerkannter Berater für Deutschen Wein – taugt der was?
Kurz vor zehn an einem Sommer-Montag. Hamburg Univiertel. Mercure Hotel. Ich gebe zu: Ich gehe mit den allergrößten Bedenken da rein. Ich bin angemeldet zum Seminar „Anerkannter Berater für Deutschen Wein“.
Ja, mein persönliches Leidenschafts-Thema. Aber in den vergangenen Jahren habe ich so viel Schlechtes gehört über Ausbildungen rund ums Thema Wein. Über katastrophale Seminarunterlagen, miese Rahmenbedingungen, überforderte Dozenten, schrottige Verkostungsmuster, hinterfotzige Prüfungen. Auch das Wort Abzocke fiel schon mal. Es tummeln sich ja eine Reihe von Anbietern in diesem wachstumsstarken Markt. Und offenbar mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen davon, was man Lernwilligen an die Hand geben sollte.
All das schwingt mit, als ich das Seminarhotel betrete. Immerhin: Bei einem Investment von 150 Euro als Seminargebühr und da das Ganze quasi fußläufig zum wineroom stattfindet, scheint mir das Risiko überschaubar. Deshalb einige Wochen zuvor mein Entschluss: Ich mache das. Ich will’s wissen. Ich melde mich an. Aus reinem Jux. Denn wirklich benötigen tue ich persönlich diese Ausbildung nicht. Nicht für meinen Kenntnisstand. Nicht für meinen Werdegang. Ich bin selbständig. Insofern mein eigener Dienstherr. Ein weiteres Zertifikat, ein weiterer Titel, eine weitere Auszeichnung interessiert in meinem Kundenkreis niemanden. Man weiß, was ich kann.
Das ist bei vielen der Anwesenden im Seminarraum sicher anders. Knapp zwei Dutzend Teilnehmer sitzen da. Anfang zwanzig bis Mitte fünfzig. Frauen und Männer ziemlich gleichauf. Gastronomen. Servicekräfte. Köche. Händler. Weinkursanbieter. Die ganze Bandbreite. Einige noch in der Ausbildung und von ihren Lehrbetrieben geschickt bzw. freigestellt fürs Seminar. Und apropos fußläufig: Viele Teilnehmer natürlich aus Hamburg und dem Umland. Aber einige sogar aus dem Weinbaugebiet Pfalz angereist ins weinlandferne Hamburg, extra für dieses Seminar. Ob sich das gelohnt hat?
So plauderleicht, dass mancher gar nicht merkt, dass er lernt
Punkt zehn geht’s los. In lässigem Plauderton stellt sich unser Dozent vor. Erzählt, wie er zum Thema gekommen ist, von seiner Ausbildung zum Koch, zum Restaurantfachmann, erzählt vom Weinmarkt national, international – und ist plötzlich mitten drin im Seminarprogramm. Das Ganze so sympathisch, so unaufgeregt, so locker, dass manch einer womöglich gar nicht bemerkt, dass er sich schon mitten im Lehrstoff befindet. Okay, meine Bauchschmerzen legen sich.
Im Plauderton geht’s weiter: Einflussfaktoren, die deutschen Wein prägen. Wie ist die Herstellerseite strukturiert. Wie die Händlerseite. Wie entscheidet der Verbraucher. Was sagt das deutsche Weinrecht. BSA. Qualitätsstufen. Transvasierverfahren. Mikrooxidation. Rebsorten. Anbaugebiete. Spontangärung. Sektsteuer. SO². Qualitätsweinprüfung. Welche Anforderungen hat Aldi an Weine. Wie kommt die exotische Litschi in den deutschen Wein rein. Und, und, und. Definitiv viel Stoff. Gut, wenn man von alledem nicht das erste Mal hört.
Umfassender Basis-Einstieg ins Thema. Detailreich und persönlich erzählt. Sehr unterhaltsam. Ein erfahrener Routinier. Auf alle Zwischenfragen gute Antworten. Und von Zeit zu Zeit der Kontrollblick ins Seminarheft: Haben wir alles besprochen, was im Test später abgefragt wird? Habe ich was vergessen? Sehr klasse, sehr kompetent. Manchem im Raum mag schon der Kopf rauchen – bei mir verfliegen die Bedenken. Guter Dozent.
Fakten und Daten zum Seminar
Veranstalter: Deutsches Weininstitut GmbH, Bodenheim
Seminardauer: Zwei Tage | Erster Tag 10:00 bis 21:00 Uhr, zweiter Tag 9:00 bis 14:00 Uhr
Kosten: 150 Euro inklusive Verpflegung, umfangreichen Lehrmaterialien und Mehrwertsteuer | Auzubildende erhalten Vergünstigung
Ausbildungszertifikat: Anerkannte(r) Berater(in) für Deutschen Wein (nach erfolgreicher Prüfung mit mindestens 80 von 100 Punkten, anderenfalls Teilnahmebescheinigung, Prüfungs-Teilnahme freiwillig)
Aktuelle Termine: Auf der Website des Deutschen Weininstituts
Die nächste Überraschung bei den Verkostungsmustern. Denn staubtrocken ist alle Theorie, es gehört auch was ins Glas. Und das kann sich sehen lassen. Ja klar, kleine Basisweine am Anfang. Die gehören defintiv dazu, wenn wir über deutschen Wein sprechen. Das Brot- und Butter-Geschäft des deutschen Winzers. Aber selbst diese vermeintlich „Kleinen“: aus guten Häusern.
Ein trockener Silvaner 2014 vom hochgelobten Weingut Windisch in Rheinhessen, wo jüngst mit Jens Windisch die nächste Generation das Ruder übernommen hat. Ein interessanter Weißburgunder 2013 aus dem Minigebiet Saale-Unstrut vom Weingut Zahn: sollte man im Auge behalten. Ein Pinot Blanc 2013 vom Weingut Heitlinger in Baden: die mit den designig-quadratischen Hs auf dem Etikett.
Kriechel, Raumland, Ratzenberger: Top-Erzeuger als Verkostungsmuster
Aber auch Großes kommt ins Glas. Ein fantastischer Spätburgunder Neuenahrer Sonnenberg 2010 vom hervorragenden und wenig bekannten Weingut Peter Kriechel an der Ahr: klasse. Die legendäre Grande Cuvée Brut 8. Triumvirat aus 2008 vom vielfach preisgekrönten Sekterzeuger Raumland: großes Kino. Aus dem Anbaugebiet Mittelrhein vom Spitzen-Weingut Ratzenberger die Bacharacher Wolfshöhle 2011 Riesling Beerenauslese edelsüß: grandios.
Und das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Es sind auch ungewöhnliche Flaschen dabei. Ein Schaumwein Rosé Cuvée Brut 2013 von der Strauch Sektmanufaktur in der Pfalz, bei dem die Grundweine im Barrique ausgebaut wurden: spannend. Ein Weisser Burgunder 2013 als Trockenbeerenauslese edelsüß von der Winzergenossenschaft Bötzingen, ebenfalls im Barrique gereift: Der schafft’s im Food-Pairing sogar mit der Schokomousse klarzukommen.
Dass der Fokus des Seminars ganz auf deutschem Wein liegt, Frankreich, Italien, Spanien, Übersee also praktisch nicht vorkommen, sollte niemanden wundern, der sich den Seminartitel angesehen hat. Ob man deshalb Themen wie den Rotling (laut „Wein – aktuell Ausgabe 02/15 im Februar 2015“ der IHK Trier gerade mal 1 Prozent Anteil an der Weinproduktion bundesweit) gleich zur Prüfungsfrage erheben muss … Na schön.
Das ist wohl eher politischer Natur. Und der Tatsache geschuldet, dass der Veranstalter des Seminars, das Deutsche Weininstitut, über eine Art „Weinpfennig“ finanziert wird. Den muss jeder Winzer in Deutschland abdrücken, um damit Marketingmaßnahmen für deutschen Wein zu finanzieren.
Da hat dann natürlich auch die Winzergenossenschaft in Hinterweiningen, die ihr Zeugs unten ins Discounterregal stapelt, das Recht sich im Lehrstoff wiederzufinden. Meinetwegen. Vielleicht erleben wir ja demnächst die große Renaissance des Rotlings. Für den Tag merken wir uns: Anders als Rosé wird Rotling durch die gleichzeitige Verarbeitung roter und weißer Trauben hergestellt.
Darf es noch eine Stange Zimt und etwas Sternanis dazu sein?
Aber gerbstoffbetonte Rotweine mit der Temperaturempfehlung „mit 18° bis 20° Celsius ins Glas“? Ein fetter Dornfelder von eben jener Winzergenossenschaft Hinterweiningen? Nichts für ungut, aber bei 20° fliegt der schon beim Einschenken auseinander. Und nach fünf Minuten Raumtemperatur peilt er schon die 22°, 23° an. Darf’s noch eine Stange Zimt und etwas Sternanis dazu sein? Oder sind die Trinkempfehlungen für Leute, die ihre Gläser in Nullkommanix runterbechern?
Dass wir das mit den Trinktemperaturen komplett anders halten, ist kein Geheimnis, wie man hier unter Punkt 9. sehen kann. Im wineroom würden wir Weinen wie dem Dornfelder wenigstens eine reelle Chance geben, indem wir sie mit maximal 16° Grad ins Glas geben. Echte Oberkante! Eine goldene Regel bei uns besagt nämlich: Warm werden sie von ganz allein.
Mindestens diskussionswürdig, solche Empfehlungen als Prüfungsthema zu setzen. Kein Wunder, wenn Teilnehmer später im Test entscheiden: „So einen Quatsch kreuze ich nicht an.“ Und ganz bewusst die prüfungstechnisch falsche, eigentlich aber richtige Antwort geben. Punktabzug fürs Seminar. Und leider auch für den Teilnehmer, als er sein Testergebnis bekommt.
Das Seminar in der Einzelwertung
Organisation ⊕ ⊕ ⊕ ⊕ ⊕
Sehr gut vorbereitet. Lehrunterlagen frühzeitig zugesandt. Transparente Bedingungen. Umfassende Informationen.
Verkostungsmuster ⊕ ⊕ ⊕ ⊕ ⊕
Sehr gute Bandbreite an Mustern, von Basis-Weinen über High-end-Produkte bis hin zu außergewöhnlichen Kreszenzen.
Dozent ⊕ ⊕ ⊕ ⊕ ⊕
Sympathisch, kompetent, unterhaltsam. Sehr gut.
Lehrstoff ⊕ ⊕ ⊕ ⊕ ⊕
Ein Punkt Abzug, da der Lehrstoff manchmal ein bisschen outdated wirkt, sehr am deutschen Weinrecht ausgerichtet ist und aktuelle Entwicklungen im Weinwesen eher außen vor lässt.
Fairness ⊕ ⊕ ⊕ ⊕ ⊕
Alle Prüfungsfragen vorab besprochen, keine nicht gelehrten Inhalte abgefragt – sehr fair.
Rahmenbedingungen ⊕ ⊕ ⊕ ⊕ ⊕
Gutes Hotel, klasse Verpflegung, nur bei der Frage nach frischen Ersatzgläsern leider überfordert.
Preis/Leistung ⊕ ⊕ ⊕ ⊕ ⊕
Mehr als fair. 150 Euro für so viel Leistung – da können sich andere zwei Scheiben von abschneiden.
Gesamtwertung ⊕ ⊕ ⊕ ⊕ ⊕
Volle Punktzahl. Absolut empfehlenswertes Seminarangebot.
Am Ende des ersten Tages: Ausklang bei einem Menü mit Weinprobe. Drei Gänge, allesamt auf erstaunlich gutem handwerklichen Niveau für ein Seminarhotel. Zu jedem Gang jeweils drei verschiedene Weine. Aufgabe: Welches ist der beste Begleiter zum Essen? Lebhafte Diskussionen in der Gruppe. Und überraschend einmütige Ergebnisse. Sehr gut. Auch hier spiegelt sich das prima Basisniveau der Teilnehmer und des Seminars wider.
Kurz vor Mittag des zweiten Seminartags steht die Prüfung an. Teilnahme freiwillig. Dennoch spürt man, wie manchem der Schweiß auf die Stirn tritt. „Meine letzte Prüfung war vor dreißig Jahren der Führerschein“, sagt der Herr neben mir. Und wer von seinem Ausbildungsbetrieb freigestellt wurde und alles bezahlt bekommen hat, steht wohl ebenfalls unter gewissem Erwartungsdruck. Aber der Dozent wischt eventuelle Sorgen fröhlich beiseite: Los, Leute, das schafft ihr.
Klar mache ich mit. Auch wenn es um nichts geht für mich. Denn wir wollen mal aufm Boden bleiben: Anerkannter Berater für Deutschen Wein – klingt gut, der Titel. Ein bisschen nach Krönchen und summa cum laude. Aber am Ende ist er in der Weinwelt das, was das Seepferdchen für die Schwimmer: ein erster Schritt, damit man nicht gleich untergeht, wenn’s in die Tiefe geht. Noch um einiges entfernt von Olympia-Gold.
Andererseits: auch nicht gerade Pipifax, der Lehrstoff. Zweifel? Okay, dann hier, bitte sehr, Probe aufs Exempel: Was sind Arabinosen? Mit wie viel Bar Druck kommt Perlwein in die Flasche? Was unterscheidet die Flaschengärung von der traditionellen Flaschengärung? Kein Achselzucken jetzt, bitte! Alles im Pipifax-Seepferdchen-Seminar besprochen.
Nur das Seepferdchen zwar, trotzdem nicht gerade Pipifax
Mein persönlicher Ehrgeiz jedenfalls ist geweckt: 100 Punkte müssten doch machbar sein. Okay, nicht ganz ohne, der Test. Konzentration! Die Fehlerquelle liegt bisweilen in der Formulierung der Fragen mit Verneinung. Tricky. Bestanden haben am Ende alle Teilnehmer. Wenn auch mancher nur knapp. Und von mindestens einem weiß ich, dass er die richtigen Antworten im Test zwar wusste, sie aber aus Protest verweigert hat. Siehe oben: „Rotwein mit 19° Trinktemperatur – so einen Quatsch kreuze ich nicht an.“
Ich schon. Ich beuge mich dem Prüfungsdiktat. Immerhin lande ich so bei 99 von 100 Punkten. Ganz ordentlich. Aber als Perfektionist und bei meinem Leidenschafts-Thema ärgere mich über den einen verschenkten Punkt. Einsicht: Offenbar doch auch für meinen Kenntnisstand immer noch empfehlenswert, so ein Seminar. Nobody’s perfect.
Und in der Tat: So grundlegend, so auf die Wein-Basics fokussiert, diese zwei Tage, dass auch manchem Profi bisweilen zu raten wäre, sich die Zeit für diese Auffrischung zu gönnen. Es erdet. Es verbindet notorische High-end-Verkoster wieder ein bisschen mit dem harten Boden des echten Weinmarkts da draußen.
Also: Hat sich die Anreise aus der Pfalz gelohnt? Die zwei nicken: Und wie! Taugt er was, der Anerkannte Berater für Deutschen Wein? Taugt. Und ganz nebenbei: Ein Riesen-Vergnügen ist es auch.
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