Italien 2014: Ein ganzer Jahrgang unter dem Fallbeil?
Steiles Statement! Nicht nur das provokante Artwork da oben. Sondern auch der Kracher, den der Hamburger Sommelier Ed Richter abgeseilt hat. „2014 – ein Jahrgang, den man sich in Italien komplett schenken kann“, verlautbarte er jüngst – ausgerechnet bei einer großen Italien-Verkostung. Es gilt der Videobeweis – und den gibt es hier zu sehen.
Der Mann ist bekannt für klare Worte und ungemütliche Thesen. Insofern nichts Ungewöhnliches. Trotzdem – „Finger weg von italienischen Vierzehnern“, das ist ein Urteil wie ein Fallbeil. Ein ganzer Jahrgang, ein ganzes Land abgeurteilt, über alle Anbauregionen, alle Erzeuger, alle Rebsorten hinweg.
Was ist das? Ungerechte Pauschalverurteilung, die den Blick fürs Detail vermissen lässt? Oder doch hilfreiche Zuspitzung, die man sich für den Weinalltag merken kann?
Ungerechte Pauschalverurteilung? Oder doch hilfreiche Zuspitzung für den Weinalltag?
Machen wir den Test: Was ist dran an Ed Richters Urteil? Dazu bewaffnen wir uns diesmal nicht mit Korkenzieher und Glas, sondern mit iPad und Lesebrille. Statt in den Weinkeller vertiefen wir uns in diverse Jahrgangsführer.
Und gehen der Frage nach: Wie bewerten andere den Zwanzig-Vierzehner in Italien? Nein, nicht als brandaktueller Erntebericht. Sondern weil die italienische B-Ware aus 2014, Barolo, Brunello, Barbaresco & Co., gerade überall im Handel steht, teilweise sogar erst in den Handel kommt.
Der erste Weg führt uns stets zur Zeitschrift Merum, unserem Leib- und Magenblatt, wenn’s um Italien geht. Wenn man dort in älteren Ausgaben blättert, stößt man auf das „Dossier Vendemmia 2014“, das Anfang 2015 erschienen ist und Ernteberichte aus erster Hand enthält. Und welche Sätze finden sich dort in der Einleitung?
Ein kühler, verregneter Sommer machte ihnen (den Winzern, Anm. d. Red.) vor allen Dingen in Nord- und Mittelitalien das Leben schwer. (…) Wer 2014 Qualität ernten wollte, musste deutlich geringere Mengen und höhere Produktionskosten in Kauf nehmen.
Das kann man als prinzipielle Zustimmung zu Ed Richters Meinung auffassen – allerdings weniger drastisch formuliert und deutlich differenzierter dargestellt.
Denn genau das folgt auf die Einleitung des Dossiers: eine detaillierte Betrachtung aller italienischen Anbaugebiete mit genauer Auftstellung der Mengen und Aussagen zu Qualitäten. Den Norden hat das Wetter bitter erwischt. Die Mitte auch. Der Süden kam glimpflich davon. Allerdings hat auf Sizilien Peronospora 40 % der Ernte vernichtet. Dafür punkten die verbliebenen 60 % mit Top-Qualität.
In eine ganz ähnliche Kerbe schlägt der englischsprachige Wine Specator in seinem 2014 Vintage Report. Auch hier ist die einleitende Bewertung eindeutig. Und wird dann durch eine differenziertere Betrachtung der einzelnen Regionen ergänzt.
From Piedmont to Puglia, summer was wet, cool and cloudy, requiring countless hours in the vineyards. In some areas, September sun ripened grapes fully. In others, no amount of work could save the season.
Wer beim amerikanischen Weinguru Robert Parker und seinem Wine Advocate online ins Vintage Chart schaut, sieht auf Anhieb, dass die italienischen Regionen für 2014 die schwächsten Bewertungspunkte seit Jahren erhalten haben.
Bis auf Piemont und Sizilien, die besser abschneiden, liegen alle anderen Regionen im 80-Punkte-Sektor. Nach Parkers Maßstäben ist das allerdings gar nicht mal so übel, sondern „Above average to Excellent“.
Für den Weinkenner auf weinkenner.de fasst der langjährige Italien-Experte und vielfache Buchautor Jens Priewe den Jahrgang in einem Satz zusammen.
Für Italiens Winzer war 2014 ein annus horribilis: ein verfluchtes Jahr.
Nur um gleich anschließend das Hohelied auf Gajas 2014er Spitzengewächse zu singen. Das deckt sich mit Merums Einschätzung: Wo aufwändige Selektion betrieben und viel, viel Arbeit investiert wurde, ist nichts von einem schwachen Jahrgang zu spüren – außer im Portemonnaie. Denn Gajas Spitzenweine, die Priewe zurecht lobt, liegen locker im dreistelligen Bereich.
Schauen wir zum Abschluss schnell noch auf der Online-Fregatte von Captain Cork vorbei. Unterm Deck der Website hängt der Jahrgangsführer für Italien. Dort werden alle italienischen Regionen für 2014 gleichmäßig mit drei von fünf möglichen Sternen bewertet – also ziemlich mittelmäßig, aber jetzt auch nicht wirklich schlecht.
Lediglich zwei Abweichler gibt es: Piemont erhält vom Captain in seiner Gesamtheit nur zwei Sterne von fünf (also anders als bei Robert Parker hier eine Abwertung gegenüber dem Rest Italiens). Und der Süden plus Sizilien punktet mit vier von fünf Sternen (da wieder ganz auf einer Linie mit Parker).
Also, tief hinabgestiegen in die Tabellen und Bücher. Aber wohin man auch blättert oder wischt: überall verhältnismäßig ähnliche Urteile.
Schluss mit drögen Recherchen. Zeit für ein salomonisches Fazit.
Jawohl: 2014 gehört in Italien insgesamt eher zu den schwächeren Jahrgängen – da sind sich wohl alle einig. Andererseits gilt wie überall: Wenn Hersteller große Sorgfalt haben walten lassen und auf Ertragsmenge verzichtet haben, können durchaus gute Gewächse enstanden sein.
Anders als bei klimatisch schulbuchmäßig verlaufenden Jahren wie zum Beispiel 2015, wo praktisch jeder, der in der Lage ist eine Tomate von einer Traube zu unterscheiden, einen guten Wein in den Keller gebracht hat, trennt sich in schweren Jahren wie 2014 die Spreu vom Weizen – und zwar sehr, sehr deutlich.
Darf man deshalb gleich rausposaunen, dass 2014 ein Jahrgang ist, den man sich in Italien komplett schenken kann, wie Sommelier Ed Richter es gemacht hat?
Ja, darf man.
Denn wer sich für seinen Weinalltag nur grobe Orientierungspunkte für einzelne Länder merken will, dem ist mit diesem zugespitzten Urteil geholfen: Finger ganz weg von Italien 2014 – oder nur mit ganz, ganz spitzen Fingern anfassen.
Wird man mit so einem Fallbeil-Urteil einem ganzen Land gerecht – von Nord bis Süd, über alle Regionen und alle Winzer hinweg?
Nein, wird man nicht.
Das weiß natürlich auch Sommelier Ed Richter. Und ebenso all jene, die sich für ihren Weinalltag mehr merken möchten als nur die simple Zuspitzung „Vierzehn geht gar nicht“.
Gerade in schweren Jahren lohnt es sich, auf die Details zu achten. Und auf jene Hersteller, die das entscheidende Quentchen mehr an Sorgfalt, Arbeit und Liebe zum Produkt einsetzen. Dann kann man auch in schwachen Jahren großes Vergnügen haben.
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