Fratelli Revello Barolo 2009 & 1993

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Was ist die Vorgeschichte?

Dies ist die Geschichte von Vater und Sohn. Vom ehrbaren, fleißigen Familienoberhaupt, das in den Achtziger-Neunziger-Jahren des letzten Jahrhunderts mit mühevoller Arbeit einen Weltruf aufbaut für sich, seine Weine und sein Weingut – und vom Sohnemann, dem arbeitsscheuen Bonvivant, der in den Nuller-Jahren das Weingut von der Elterngeneration übernimmt, dem aber jeder Handgriff zuviel ist, weshalb er innerhalb weniger Jahrgänge mühelos zum Einsturz bringt, was Papa mühsam errichtet hat.

Damit wir uns hier nicht falsch verstehen: Diese ganze Geschichte ist von vorne bis hinten erstunken und erlogen. Nicht ein einziges Wort davon ist wahr. Alles komplett aus den Fingern gesogen. Eine einzige große Räuberpistole.

Schlimm! Aber was viel schlimmer ist: Sie könnte – ja, durchaus, sie könnte wahr sein, die ganze Geschichte.

Denn genau so fühlen sich die beiden Barolo an, die im wineroom auf den Verkostungstisch kamen. Der eine: groß, klar, elegant, typisch, in Würde gereift, ein Genuss bis zum letzten Tropfen – Papas Wein von 1993. Ein Nebbiolo-Monument. Der andere: dünn, stümperhaft, zusammengestoppelt, so ungenießbar, dass er nicht mal mehr zum Kochen taugt – der Wein vom Sohnemann aus 2009.

Wie gesagt: komplett erfunden, die Geschichte von Vater und Sohn. Aber sie beschreibt präzise, was wir beim Verkosten erlebt haben. Und sofort setzte sich diese Story in unseren Köpfen zusammen: von der einen Generation, die etwas aufbaut und weitergeben will – und der nächsten Generation, die das große Erbe leichtfertig unter die Räder bringt. Der Stoff aus dem große Gesellschaftsromane entstehen.

Nochmals in aller Deutlichkeit: Nichts an unserer Geschichte stimmt. Wer ein bisschen über die Azienda Agrituristica Revello, die für die zwei Barolo verantwortlich zeichnet, zu recherchieren beginnt, erfährt schnell, dass sich deren Historie ganz anders zugetragen hat.

Aber unser Generationendrama vermittelt die beiden Weine so schön, so präzise, so lebendig und anschaulich, dass wir sie einfach erzählen müssen. Plastischer lässt sich ein Wein-Erlebnis nicht nachvollziehbar machen.

Was kam in die Gläser?

Erstens Fratelli Revello Barolo DOCG 1993, 13,5 % vol. – der Wein vom Papa unserer Geschichte oben. Und zwotens der Wein vom ebenso frei erfundenen Sohnemann: Fratelli Revello Barolo DOCG 2009, 14,5 % vol.

Welche Ausstattung hatten die Flaschen?

Beides Schulterflaschen im Bordeaux-Typ, mit DOCG-Banderolen und Naturkorken. Auffällig: Der Korken des 1993er Papa-Barolos schmaler, dafür aber knapp 5 mm länger als der Korken des 2009er Sohnemann-Weins.

Ebenfalls bemerkenswert: Die Etiketten aus dem Jahr 2009 sind denen aus dem Jahr 1993 zum Verwechseln ähnlich. Fast wie eineige Zwillinge.

Nun sind wir im wineroom durchaus große Freunde von Kontinuität. Und geißeln es, wenn Bewährtes ohne Not auf den Haufen geworfen wird – wie bei vielen Weingütern, die im Moment gerade meinen, sie müssten ihre Etiketten modernistisch aufbrezeln und sich dem Luder Zeitgeist an den Hals werfen.

Aber diese Kontinuität aus Überzeugung ist natürlich langweilig für unsere Geschichte. Zu der passt viel besser: Selbst dazu war Bonvivant Sohnemann zu faul – einmal die Etiketten zu überarbeiten. Nicht mal das kriegt er auf die Reihe. Stattdessen nutzt er Papas Design weiter und weiter, Jahr um Jahr, um nur nicht einen Finger krumm machen zu müssen.

Wer hat die Weine ins Fass gebracht?

Azienda Agrituristica F.lli Revello, Fraz. Annunziata, 103 – La Morra (CN), Piemont, Italien, www.revellofratelli.com

Wo kommen die Flaschen her und zu welchem Kurs?

Die Papa-Buddel stammt aus einer privaten Weinsammlung und wurde über ebay erworben. Der Zuschlag in der Auktion erfolgte bei knapp elf Euro. Der Sohnemann-Wein kommt vom Online-Händler Wine in Black Dort ruft man circa 35 Euro dafür auf – also locker mal mehr als das Dreifache des höchsten ebay-Gebots für den 93er.

Wie sind die beiden Barolo denn nun?

Mist, jetzt haben wir schon alles verraten in unserer Vorgeschichte oben. Der Dreiundneunziger von Papa: Jawohl, auf solchen Weinen kann man einen Ruf aufbauen. Großartiger Barolo. Klassische Stil. Von Anfang an top präsent im Glas, in der Nase, am Gaumen. Feingliedrig und elegant, ohne kraftlos zu sein. Unterholz, dunkle Frucht, feines Sandelholz. Reif. Mehr noch: gereift. Aber immer noch frisch, immer noch Frucht im Spiel. Kein bisschen müde.

Zeigt sich deutlich frischer, kraftvoller, spielfreudiger als sein 93er-Pendant von Michele Chiarlo, das hier neulich mal auf dem Tisch stand. Komplex, kraftvoll, top balanciert, schöne Länge. Verändert sich über die Zeit, ohne zu zerbrechen. Jetzt perfekt zu genießen. Kann aber auch noch mal locker drei, fünf, sieben Jahre verkraften, wenn der Korken mitmacht. Für solche Erlebnisse macht man Barolo auf. Chapeau für Papa – alle Mühen wert.

Und was macht Sohnemann, gerade mal sechszehn Jahre später? Lebt von Papas Ruhm und legt sich auf die faule Haut. Er hat den Jahrgang 2009 vor der Brust, der auch in Italien von Weinbranche und Presse zum Jahrhundert-Jahrgang hochgejazzt wurde. Aus heutiger Sicht oft eine Farce, wie wir hier neulich schon mal erzählten. Denn Null-Neun hatte seine ganz eigenen Tücken. Und was macht der Sohn daraus? Legt die Hände in den Schoß und verprasst den ererbten Ruhm des Vaters.

Deutlicher Kleberton nach dem Öffnen. Und daneben noch: Kleberton, äh … Kleberton, und dann: Kleberton. Es will gar nicht mehr aufhören. Einladend ist das nicht. War da irgendwo noch Frucht? Unterholz? Tabak? Nö. Aber hatte ich schon den Kleberton erwähnt? Verfliegt auch nach Stunden nicht. Selbst am Tag darauf noch präsent. Kommt definitiv nicht vom Alkohol. Das ist der Wein.

Okay, Vorfreude stellt sich da nicht ein. Wir probieren trotzdem. Im Mund unharmonisch, steht komplett quer, da passt nix zusammen. Wer füllt so ein Zeug ab? Unser Bonvivant mit den Händen im Schoß. Denn wenn wir mal Wikipedia zum Thema befragen, bekommen wir als Antwort, dass der Kleberton

„entsteht, wenn sich auf beschädigten Trauben am Stock Essigsäurebakterien ansiedeln und Essig bilden. Werden diese Trauben nicht aus dem Lesegut entfernt, so kann sich während der Gärung zusammen mit dem Alkohol das als Lösungsmittel bekannte Ethylacetat bilden, das sofort durch seinen charakteristischen Geruch auffällt.“

In unserer Story erzählt sich das so: Unser Faulpelz von Sohnemann hat’s nicht mal nötig, seiner Lese-Mannschaft einzubläuen, Selektion zu betreiben. Alles rein in den Sammelkorb, eh wurscht. Bloß keinen Finger krumm machen. Nichtmal für den Einsatz von Aktivkohle hat’s gereicht, um den Fehler später im Keller zu korrigieren. Und so macht unser Bonvivant ein ums andere Jahr mehr kaputt, was seine Altvorderen aufgebaut haben.

Eine Geschichte ohne Happy End. Da mag der Händler Wine in Black von „traumhaftem Barolo“ schwärmen, wie er will, und sich an seinen eigenen Lobeshymnen berauschen – im wineroom stellt sich nur die eine Frage: Soll der so oder kann der weg? Klare Antwort bei uns: weg.

Was macht man damit?

Den 93er: in aller Stille und Demut genießen. Klar, gern auch mit passendem Essen. Das schafft er immer noch locker. Oder zur Zigarre. Den Null-Neuner: ab in den Ausguß, wenn er sich so präsentiert wie bei uns. Ohne Wenn und Aber. Und bitte: auch nicht mehr zum Kochen verwenden. Wer soll da drauf rumkauen?

Fazit?

Hammer-Drama, wie eine einzelne Generation alles runterwirtschaften kann. Tragisch für die beteiligten Figuren – traumhaft für Geschichtenerzähler.

Aus welchen Gläsern wurde probiert?

Zalto Denk’Art Burgunderglas, Universalglas und Weißweinglas sowie Zwiesel Viña Form Nr. 8465/1.

Wer hat’s probiert?

Die Barolo-Brothers Edgar Wilkening und Ed Richter.

Ist dieser Beitrag gewerblich gesponsort?

Nein.

Sind noch offene Fragen?

Oder kann es sein, dass die Sohnemann-Buddel aus Null-Neun einfach durch war? Als einzelne Flasche hinüber, perdu, über die Wupper? Während der Rest des Jahrgangs absolut fantastisch ausfiel? Mag ja sein. Pure Spekulation …

Wir hatten keine Gelegenheit, das zu prüfen, sondern mussten uns auf die Flaschen verlassen, die auf dem Tisch standen. Klar, hätte man vielleicht reklamieren können, die 09-Buddel. Aber mal ehrlich: Was wäre dann aus unserer schönen Räuberpistole geworden?

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