Gedopt mit Trüffel und Wein:
Per Rad auf Tour de Rhône
Ein Tour-Bericht in fünf kulinarischen Etappen – von Ed Richter
Er ist fast immer gegenwärtig, thront über Rebzeilen und Lavendelfeldern, über Flüssen und Dörfern: der Mont Ventoux, das fast zweitausend Meter hohe Wahrzeichen der Provence. Er ist der Traum und Albtraum vieler Pedaleure, ein Schicksalsberg mit langen, steilen und windigen Rampen, die selbst gestählten Rennfahrern schon zum Verhängnis wurden.
Nicht ganz so hoch und nicht annähernd so gemein für Radler gibt sich die unmittelbar im Westen anschließende Felsenlandschaft der Dentelles, der „Zacken“ von Montmirail.
In deren Schatten liegen eine Reihe von bekannten Weinstädtchen und Anbaugebieten: Rasteau, Vacqueyras, Sablet, Gigondas oder Beaumes-de-Venise. Sie bieten dem genussorientierten Radler statt körperlicher Grenzerfahrungen ein Fest für die Sinne
Sommelier Ed Richter hat die Rhône-Region auf dem Bike erkundet – und ist dabei genussfreudigen Menschen und Weinen begegnet.
Der Hamburger Sommelier und Weinjournalist Ed Richter. Schreibt auf wineroom.de regelmäßig über die große Welt der großen Weine.
Etappe 1 – Von Vacqueyras nach Carpentras
Anfang Oktober hat die Sonne hier noch enorme Kraft. Warm ist es, obwohl die ruhigen Landstraßen im Westen der Dentelles kaum Anlass zu übermäßigen Anstrengungen geben.
Von Vacqueyras aus geht es, vorbei an Olivenbäumen, Pferdekoppeln und Weinbergen, nach Sarrians.
Die schmalen Feldwege am ruhig dahindümpelnden Wasser des idyllischen Canal de Carpentras sind um diese Jahreszeit fast ausgestorben.
Carpentras, das einst von Kelten gegründete, zeitweilig neben Avignon auch als Papstresidenz fungierende Marktstädtchen, ist das erste Etappenziel der Rundfahrt.
Canal de Carpentras
Gebaut von 1849 bis 1857 zur Bewässerung. Verbindet die Rhône-Nebenflüsse Durance und Eyges. 69 km lang. Dazu Seitenkanäle mit über 700 km Länge.
Unter einer 200 Jahre alten Linde wartet Anémone Carayol, ausgewiesene Trüffelexpertin und Gattin des Chefs im „Chez Serge“.
Die Tochter einer Berlinerin und eines Provenzalen, die unweit von Carpentras aufwuchs, lernte ihren Serge, einen leidenschaftlichen Hobbyradler, während der Arbeit im Trüffelmuseum von Monieux am Fuße des Ventoux kennen.
„Wir haben hier Einzigartiges zu bieten“, schwärmt sie von der wilden Schönheit der Landschaft. „Die Farbenpracht der Berge, das einmalige Licht, die intensiven Gerüche der Natur“. Und natürlich die Qualität der lokalen Trüffel, die üppig auf dem Nudelgericht thronen, das Kellner Matthieu serviert hat.
„Nein, nein – hier gibt es die besten Trüffel!“, protestiert Anémone auf meine Frage nach den „truffes du Périgord“ aus dem französischen Südwesten.
„80 Prozent der französischen Knollen kommen schließlich von hier. Und in Carpentras gibt es den ältesten Trüffelmarkt des Landes, der nachweislich seit 1000 Jahren existiert.“
Chez Serge
90 Rue Cottier
F-84200 Carpentras
Tel +33 4 90 63 21 24
Web chez-serge.com
Trüffel-Expertin Anémone Carayol bei der Suche.
Etappe 2 – Von Carpentras nach Malaucène
Gestärkt von den Kohlenhydraten des Vortags geht es am zweiten Tag entspannt über abgeschiedene Dorfstraßen und Schotterpisten, die kleine Bäche kreuzen oder von ihnen begleitet werden, nach Beaumes-de-Venise, bekannt für seinen Süßwein aus der Muskattraube.
Von hier aus führt die Route weiter nach Suzette. Die Weinlese ist in vollem Gange. Rechts und links arbeiten viele Gruppen Erntehelfer, die im Moment hauptsächlich rote Trauben lesen.
Die Straße wird nun deutlich steiler, immer wieder muss man einen Gang herunterschalten, Umdrehung um Umdrehung geht es bergan – ein E-Bike wäre ein Traum.
Ganz oben in den Weinbergen der Appellation Beaumes-de-Venise, auf etwa 400 Metern, wartet das Château Redortier. Hier empfängt Isabelle de Menthon, die das Gut mit ihrer Zwillingsschwester Sabine führt.
Die beiden passionierten Bergsteigerinnen – vor zwei Jahren schafften sie es sogar auf den Gipfel des Mont Blanc – studierten zunächst Jura, ehe sie das Weingut vom Vater übernahmen.
Die Schwestern lieben die Blumen wie die Berge. Leuchtende Pflanzen umrahmen die schöne, für die Gegend typische zweistöckige Sandsteinvilla.
Hier möchte man länger verweilen, die Landschaft genießen. Auch die Weine passen: ehrlich, kraftvoll, dabei nicht breit oder plump, mit guter Balance und animierender Frische.
Ähnlich geradlinig und präzise sind die Gewächse von Thomas Jullien in Suzette auf der anderen Seite des Berges, nur wenige Kilometer entfernt.
Château Redortier
La Grange Neuve
F-84190 Suzette
Tel +33 490 62 96 43
Web chateauredortier.canalblog.com/
Winzer Thomas Jullien in der Domaine La Ferme Saint-Martin, wo regelmäßig Ausstellungen lokaler Künstler stattfinden.
Der junge Biowinzer mit den krausen Haaren und dem hippen Vollbart ist bekannt für seine biodynamischen Weine. Seine Domaine La Ferme Saint-Martin liegt allein weit oben am Hang und bietet einen großartigen Rundumblick über die Dentelles, der für die Mühen der Kraxelei entschädigt.
Julliens Weine erzählen von Kühle und kargen Böden. „Hier reifen die Trauben langsamer und bilden nicht so viel Zucker. Es ist leicht, aus ihnen schlankere Weine zu machen“, erklärt der natur- wie kulturverbundene Winzer, der seinen Besuchern dann und wann auch auf seinem Akkordeon vorspielt.
Die Landstraße, die das Massif des Dentelles durchquert, ist jetzt ein kurvenreiches, ständiges Auf und Ab. Malaucène, am Startpunkt zur nördlichen der spektakulären Auffahrten zum Ventoux, ist das Ziel.
Linker Hand glänzen karge, verschiedenfarbige Felswände in der tiefstehenden Sonne, vor ihnen das üppige Grün der kauzigen Aleppokiefern und Garriguesträucher.
Malaucène ist ein Mekka der Radfahrer. Die Boulevards der kleinen Stadt sind von Platanen gesäumt. Vor den Cafés unzählige Räder – ihre Besitzer erholen sich in der abendlichen Sonne. Nach den kurzen, giftigen Anstiegen ist jetzt erst einmal Ruhe angesagt.
Domaine La Ferme Saint-Martin
Quartier Saint-Martin
F-84190 Suzette
Tel +33 490 62 96 40
Web fermesaintmartin.com/
Etappe 3 – Von Malaucène nach Séguret
Vaison-la-Romaine an den nördlichen Ausläufern der Dentelles ist das nächste Ziel der Rundfahrt.
Jeden Dienstag präsentiert der große provenzalische Markt in den schmalen Gassen und auf den Plätzen der alten Römerstadt alles, was die Region zu bieten hat. Öl, Lavendel, Seifen, Oliven, Käse … Erstaunlich, wie viele junge Menschen hier ihre Waren anpreisen.
Die alte, romantische Brücke führt über den Fluss Ouvèze in die Oberstadt und zum Schloss. Hier könnte man sich in ruhigen Momenten in der galloromanischen Antike wähnen.
Grand marché provençal de Vaison-la-Romaine
Besteht seit über 500 Jahren. Jeden Dienstag erstreckt er sich über die Innenstadt. Mit mehr als 450 Ständen einer der größten Wochenmärkte der Provence.
„Grand Marché Provençal“: Gewürzstand mit Ölen, Seifen sowie Lavendel aus großen Säcken.
Das mit dem Fahrradfahren allerdings gestaltet sich schwierig: Um die Restaurants und Cafés der verwinkelten Altstadt zu erreichen, schiebt man das Rad besser durch die rumpeligen Pflastersteingassen.
Hier residiert auch Josianne Déal, eine der besten Käseveredlerinnen des Landes, deren „Lou Canestou“ bei Liebhabern als heiliger Tempel gilt.
Déal beliefert auch zahlreiche Restaurants der Umgebung, so auch in Séguret, der nächsten, südlich von Vaison gelegenen Etappe der Dentelles-Runde.
Séguret, das Dorf, das stolz auf eine eigene Weinappellation blicken kann, gilt als eines der schönsten Dörfer Frankreichs.
Fromagerie Lou Canestou
10, Rue Raspail
F-84110 Vaison-La-Romaine
Tel +33 4 90 36 31 30
Harmonisch schmiegt es sich an eine große, grüne Bergkuppe – die aus Feldsteinen gebauten Häuser aus dem 13. und 14. Jahrhundert wirken wie zusammengeklebt und in den Fels gedrückt.
Um die steilen Rampen ins Dorf zu bewältigen, braucht man einen langen Atem – der umwerfende Ausblick auf die umgebende Landschaft mit ihren Weinbergen ist Lohn für die Mühe.
Hier sind die Gässchen so schmal, dass man mit ausgestreckten Armen beide Häuserfronten gleichzeitig berühren kann. Es herrscht eine eigenwillig sanfte und zeitlose Atmosphäre.
Etappe 4 – Von Séguret nach Gigondas
Von jetzt an folgen die Dörfer und Appellationen Schlag auf Schlag. Vorbei an Sablet, das komplett um einen Hügel herum gebaut scheint und an einen Ameisenhaufen erinnert, geht es nach Gigondas.
Ein großer Name – zumindest in der Weinwelt –, aber ein winziges Dorf: Wer das Ortsschild passiert hat und an der Place du Village das Bremsen vergisst, ist schneller wieder aus dem Ort heraus, als er hineinkam.
Hier gibt es weder Trubel noch Verkehr. Alles ist angenehm beschaulich, das Leben läuft wie in Zeitlupe ab, man sitzt unter Platanen, schaut ins Tal und sinniert über das Leben.
Besonders gut kann das Louis Barrual, Visionär, Künstler und Perfektionist, der als einer der renommiertesten Weinbauern der Appellation gilt und dessen Vorfahren ihr Châteu de Saint Cosme schon 1570 erwarben.
Winzer in fünfzehnter Generation: Louis Barruol, Inhaber von „Château de Saint Cosme“.
Ihm zuzuhören macht Freude. „Ich bin jeden Tag glücklich“, bekennt er auf dem Weg zur 900 Jahre alten Kapelle von Saint-Cosme, mit seinen beigefarbenen Shorts und Trekkingschuhen ein Bild wie aus „Jenseits von Afrika“.
„Mein Wissen verdanke ich meinem Vater Henri, der die Vorzüge des biologischen Weinbaus schon 1972 erkannte. Aus Respekt vor der Natur und den vielen Vogelarten der Gegend wurde bei uns niemals irgendwelche Chemie verwendet.“
Es ist ein Bilderbuchtag, die Luft ist so klar, dass die gezackten Spitzen der Dentelles zum Greifen nah wirken. Barruol spricht vom Boden, von Biodiversität, von der Einzigartigkeit der Lagen und der Bedeutung der alten Reben.
Die Weine lässt er am liebsten im 2000 Jahre alten, galloromanischen Keller tief unter dem Haus verkosten. In den in den Fels gehauenen Weintrögen wurde schon in der Antike Wein gekeltert. Ob der damals schon so mineralisch schmeckte wie heute?
Château de Saint Cosme
126 Route des Florëts
F-84190 Gigondas
Tel +33 490 658 080
Web saintcosme.com
Etappe 5 – Von Gigondas zurück zum Start
Am letzten Tag pedaliere ich durch welliges, aber gut zu fahrendes Terrain auf dem „Chemin de Longue Toque“ zurück nach Beaumes-de-Venise und Carpentras.
Die vergangenen Tage im Oktober haben eine Art Entschleunigung erzeugt. Trotz der körperlichen Anstrengung fühle ich eine tiefe Zufriedenheit.
Man muss in dieser Region nicht ehrgeizig unterwegs sein. Einfach einen kleinen Berg oder Gipfel mit schönem Ausblick erklimmen, dabei den Picknickkorb und natürlich Wein aus den umliegenden Hügeln nicht vergessen! Sich setzen – riechen, schmecken, schauen und die Seele baumeln lassen.
Hier, am Fuße des Ventoux zählen weder Geschwindigkeit noch Leistung, sondern die Kraft der Landschaft und der Genuss am puren Radeln. Dann wird es ein Fest für die Sinne!
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