Vieux Télégraphe rouge 2008
Bitter, wenn man Helden wanken sieht. Superman bei Kryptonit. Vieux Télégraphe beim Jahrgang 2008. Beides Helden für die Ewigkeit. Beide eigentlich unbesiegbar.
Aber das Foto oben nimmt’s vorweg. Weine wie der Nullachter kennen hier nur einen Weg: den in den Ausguss. Eine Dreiviertel-Flasche eines der vielleicht besten und bekanntesten Weine der Welt – ab in den Orkus. Denn um ehrlich zu sein: Sowas will ich hier nicht mal in der Soße sehen.
Trüb und altersmüde zeigt er sich im Glas. Verhaltene Nase. Saftlos, kraftlos, spannungslos im Mund. Ein bisschen Frucht blitzt auf, ein bisschen Tannin befällt den Gaumen. Müde, morsch und dumpf ist er. Kurz.
Ganz okay als Partywein, sagt der Sommelier am Verkostungstisch.
Partywein??? Bei 60 bis 70 Euro Investment für die Flasche? Auf welche Art Partys wird der Mann eingeladen??? Okay, er hat den Wein blind im Glas, weiß nicht, was er probiert. Da sagt Partywein alles.
Nichts von der kraftstrotzenden Opulenz, die einen Vieux Télégraphe auszeichnet – und die wir im Nullsechser fanden, im Nullvierer, im Neunundneunziger. Nichts von der überbordenden Frucht, von der feinen Finesse und Länge. Nurmehr lächerlicher Abklatsch seiner selbst, diese Doppelnull-Acht aus der gefeierten Lage La Crau.
Was ist da passiert?
Gute Frage.
Auftritt der Schlaumeier und Flachbolzen: Kann schon mal sein sowas, dass eine Flasche kippt, kann schon mal passieren, dass eine Flasche einen Fehler hat. Vielen Dank, liebe Schlaumeier. So clever sind wir auch hier im wineroom. Und machen dann nicht viel Aufhebens davon, wenn eine einzelne Flasche fehlerhaft ist.
Doch wir wollen der Wahrheit Genüge tun: Dies ist nicht die erste Flasche vom Superhelden, die sich zum Wegkippen empfiehlt. Es ist die sage und schreibe sechste Flasche aus einer Sechser-Original-Holzkiste Vieux Télégraphe 2008. Aufgemacht im Verlauf der letzten vier Jahre. Und nicht eine, nicht eine einzige der sechs Flaschen taugte für irgendwas. Außer für ahnungslose Etikettentrinker.
Lange habe ich mich schwergetan, hier darüber zu schreiben. Wem nützen schon Verrisse? Andererseits: Genau diese Art Weine waren der Auslöser, warum der wineroom vor Jahren online gegangen ist. Warum aus der vagen Idee eine echte Webseite wurde. Weil es Schrott am Weinmarkt gibt, der hochgejubelt wird – und vor dessen Erwerb einen niemand irgendwo warnt.
Deshalb nochmal die Frage, ganz ernsthaft: Eine Ikone der Weinwelt wie Vieux Télégraphe – sechs Flaschen aus einer Original-Holzkiste – alle sechs Grütze – was ist da passiert? Lag Kryptonit rum in La Crau?
Okay, 2008 war insgesamt ein schwieriger Jahrgang an der Rhône. Aber gerade Spitzenerzeuger zeichnen sich dadurch aus, dass sie selbst in schweren Jahren sehr gute Qualitäten auf die Flasche bringen. Warum hier nicht?
Hat man vielleicht so geringe Erntemengen gehabt, war aber andererseits so große Liefer-Verpflichtungen weltweit eingegangen, dass man aus den Trauben pressen musste, was das Zeug hergab?
Für dieses Szenario spricht ein Hinweis auf wine.com, wo The Wine Advocate zitiert wird mit der Bemerkung, dass die Produktionsmenge für den Vieux Télégraphe 20 bis 25 Prozent niedriger lag als sonst üblich.
Das ist für jeden Weinbaubetrieb bitter. Und kann zu existenzbedrohenden Situationen führen. Da kann man schon mal versucht sein, mehr rauszuholen als drin ist … Aber darf einem Spitzenerzeuger so was passieren?
Vielleicht ist es auch so, dass man unterschiedliche Chargen mit unterschiedlichen Qualitäten abgefüllt hat. Die besseren Qualitäten gehen an die besseren Märkte. Immerhin kommt The Wine Advocate ja noch zu einem ganz gnädigen Urteil über den Wein.
Und den dusseligen Deutschen schickt man die dünnen Reste? Merkt eh keiner da im Land, wo mehr Geld für Autos und teure Küchen ausgegeben wird als für gute Lebensmittel. Lässt sich das vielleicht sogar anhand der Lot-Nummer auf der Holzkiste „Lot No 10159“ nachvollziehen?
Oder hat die ganze Charge einfach nur zu lange auf irgendeinem Lkw in der Sonne rumgestanden? Wie auch immer – hier im wineroom gilt: Finger weg vom Doppelnull-Achter Vieux Télégraphe! Arme Teufel, die davon noch was im Keller liegen haben. Und Folge-Jahrgänge stehen hier unter strengster Beobachtung, bevor sie bei uns in irgendeinem Shopping-Cart landen.
Was gab’s ins Glas?
Châteauneuf-du-Pape „La Crau“ Domaine du Vieux Télégraphe rouge 2008, 14,5 % vol.
Welche Ausstattung hat die Flasche?
Klassische CndP-Flasche mit Prägung, Korken.
Wer steckt dahinter?
Domaine du Vieux Télégraphe, 3 Route de Châteauneuf-du-Pape 84370 – Bédarrides, Frankreich, www.vieux-telegraphe.fr
Was kostet der Spaß?
Circa 60 bis 70 Euro.
Was macht man damit?
Wertiges Geschenk für ahnungslose Etikettentrinker, Partywein für Spaßbefreite, Kochwein für Hartgesottene. Oder gleich in den Ausguss.
Aus welchen Gläsern wurde probiert?
Gabriel Glas Gold Edition und Zalto Denk’art Universalglas
Wer hat’s probiert?
Weinautor Edgar Wilkening gemeinsam mit einem Top-Sommelier, einem Weinhandelsberater und einer Weinliebhaberin – sowie in früheren Jahren mit diversen anderen Weinfreunden, Sommeliers, Händlern.
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Klingt er etwa so?
Sind noch offene Fragen?
Ja, nämlich die immer noch unbeantwortete Frage von oben: Was ist passiert? Wie konnte das geschehen? Hat jemand verbindliche Antworten darauf?
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