„And the award goes to …“ Höre ich da etwa Korken knallen im wineroom?
Vielleicht die härteste Challenge, der sich ein Weinliebhaber stellen kann: Grünkohlessen mitten in Westfalen – und dann den Teilnehmern Rotwein hinstellen statt Bier. Ob Autor Edgar Wilkening das überlebt hat? Und: ob der Westfale das überlebt hat? Die Geschichte einer tollkühnen Foodpairing-Mutprobe gibt’s hier.
Ich habe nicht mitgezählt, an wie vielen Preisverleihungen ich schon als Nominierter teilgenommen habe. Aber langsam müsste sich doch mal so was wie Routine einstellen, oder?
Nix da! Jedes Mal wieder die gleiche Aufregung. Jedes Mal wieder das gleiche Herzklopfen, wenn oscargleich die Namen der Nominierten verlesen werden – die Briefumschläge auf den Tisch kommen – die Siegel aufgebrochen werden …
Dabei war diesmal alles ganz anders. Die Preisverleihung fand digital statt: als Online-Konferenz bei Zoom, die auf YouTube live gestreamt wurde. Jeder für sich allein daheim – aber alle vereint am Screen.
Wegen Corona, natürlich. Aber vor allem auch, weil die „Born Digital Wine Awards“, wie der Name schon sagt, ihren Fokus ganz auf digitale Inhalte legen. Da ist es nur konsequent, all die Jurymitglieder, Nominierten und Gäste nicht rund um den Globus in die Hollywood Bowl einfliegen zu lassen, sondern digital zu verknüpfen.
Die Einladung lautete auf „Tuesday 14th April 2020 at 9pm CEST (Berlin, Rome), 8pm BST (London, Lisbon), 3pm EDT (New York) and Midday PDT (San Francisco)“.
Schon diese Vielzahl an Zeitzonen illustriert den weltumspannenden Charakter des Wettbewerbs. Und weist auch auf einen starken amerikanischen Schwerpunkt hin. Dazu alles in Englisch … Vielleicht sind das die Gründe, warum die „Born Digital Wine Awards“ in Deutschland noch nicht als das wahrgenommen werden, was sie sind: ein herausragendes, globales Medienereignis im Weinsektor mit dem Ziel „pushing the standards in this industry“. Macht nichts – wir stürzen uns einfach ins digitale Partygetümmel.
Punkt 9pm CEST sind im wineroom die Kinosessel aufgeklappt, Popcorn und Getränke stehen bereit, der Beamer summt sein fröhliches Lied. Und siehe da: Alle Jury-Mitglieder haben sich in ihren „fanciest dresses“ in Schale geworfen, wie Ryan Opaz aus Portugal, Initiator der Awards und Moderator der Preisverleihung, gleich zu Beginn feststellt.
Und halleluja, was für ein hochkarätiges Line-up aus aller Welt sich da versammelt hat!
Aus Brasilien: Marcelo Copello, der vielleicht bedeutendste Wein-Journalist Südamerikas. Aus Italien: Réka Háros, Strategy Consultant in der Weinwirtschaft. Aus Finnland: Ilkka Sirén, Weinjournalist und Vorjahres-Sieger der Born Digital Wine Awards. Nochmal Italien: Monty Waldin, hochrespektierte Biodynamie-Koryphäe und Winzer. Aus Belgien: Caroline Thomas, European Marketing and Communication Manager beim Weintechnologie-Unternehmen Vinventions …
Und so geht das Länder-Hopping noch ein knappes Dutzend Mal weiter – siehe Screenshot der Konferenz oben im Bild. Alter Schwede, das nenne ich mal internationale Jury! Her mit den Getränken.
wineroom-Macher Edgar Wilkening freut sich wie Bolle über die Auszeichnung: „Insbesondere weil ich erst seit Kurzem in Minden an der Weser lebe und so meiner neuen Heimatstadt gleich zum Antritt einen internationalen Award bescheren kann.“
Gratulation vom wineroom an die Gewinner der ersten drei Awards: Gratulation nach Schweden, nach Chile und in die Schweiz!
Ein paar warme Worte des Moderators, dann geht’s auch schon los mit Gewinnern. Der „Innovation Award“ geht nach Schweden an Publizist Krister Bengtsson für seine Star Wine List. Der „Sustainability Award“ geht nach Chile an Felipe Pomés für das „Tayu Wine Sustainable Project“. Congratulations auch aus dem wineroom für diese Auszeichnungen!
Es folgt „Best Tourism Content with a Focus on Wine“. Die einzige Kategorie, in der ein weiterer deutscher Beitrag nominiert ist: das lesenswerte Stück „Grenzenlos“ von Axel Biesler über Weinbau im Libanon. Doch Deutschland geht leer aus. Die Jury gibt den Award in die Schweiz an Dennis Lapuyade für seinen Artikel „The Urban Vineyards of Zürich“. Herzlichen Glückwunsch!
Und plötzlich, Himmelherrgott nochmal, ist die Rede von „Best Food and Wine Content“ – der Kategorie, in der ich mit meinem Beitrag über Grünkohl und Wein nominiert bin, gemeinsam mit acht weiteren Personen rund um den Erdball und deren Beiträgen. … äh, ‚tschuldigung, ich hab so einen trockenen Mund mit einem Mal, kann ich was zu trinken bekommen?
Als Verfahren ist vorgesehen, dass sich alle Nominierten in einem digitalen waiting room bei Zoom aufhalten. Der 1st place winner jeder Kategorie wird dann in die Online-Konferenz geschaltet, um eine kleine Ansprache zu halten. Okay, verstanden. Ich schlurf dann mal in den digitalen waiting room und verfolge, was sich da draußen bei der Preisverleihung abspielt …
Laudatorin für die Kategorie „Best Food and Wine Content“ ist die amerikanische Journalistin Alice Feiring, die auch als Kolumnistin für das angesehene Time Magazin arbeitet. Schon hat sie Briefumschläge in der Hand und macht sich daran zu schaffen: Platz Drei geht nach Minneapolis, Minnesota, USA an Jeff Barrows für „Smoking Low and Slow with Rioja Wines“ – Chapeau!
Platz Zwei geht ebenfalls in die Vereinigten Staaten: an Journalistin Jill Barth und ihren für Forbes geschriebenen Artikel „Try These Mediterranean Wine and Dairy Pairings“. Gratulation! Sind die USA auf dem besten Weg zum Hattrick in der Kategorie „Best Food and Wine Content“? Wird auch Platz Eins nach Nordamerika gehen?
Alice Feiring öffnet den Umschlag. „And the winner is …“ Aus irgendeiner digitalen Ferne höre ich etwas, das wie mein Name klingt; aus der gleichen digitalen Ferne kommt etwas, das wie der Titel meines Beitrags klingt. … äh, ‚tschuldigung, nein, jetzt nichts zu trinken für mich – jetzt muss alles Getrunkene plötzlich dringend aus mir raus.
Und hastenichtgesehen steh ich nicht mehr im waiting room, sondern mitten in der Online-Konferenz und stammele in allerfeinstem Denglisch was vor mich hin von „thank you“ und „amazing“ und „green cabbage as a very traditional german dish“ und „usually paired with beer“ und so fort.
Die „Born Digital Wine Awards“ sind nicht die Fußball-Weltmeisterschaft, oder die Film-Oscars, oder Olympia – aber irgendwie doch …
Erst im Nachhinein wird mir klar: Was habe ich da gesabbelt von green cabbage? Was für ein himmelschreiender Blödsinn! Grünkohl mag in deutschen Ohren übersetzt wie green cabbage klingen.
Aber cabbage ist eher der Kohlkopf bzw. der Kohlrabi. Grünkohl heißt im angloamerikanischen Sprachraum kale. Herrje, die sprachlichen Fallstricke globaler Kommunikation.
Wie peinlich … Immerhin war die Jury gnädig genug, mir den Award nicht sofort wieder abzuerkennen. Danke für diese Nachsicht. Aber vor allem: Danke für die großartige Auszeichnung als „Best Food and Wine Content“: Thank you so much for enjoying my article!
Und ganz im Ernst: In einem so globalen Wettbewerb, gegen eine so starke amerikanische und auch europäische Konkurrenz am Ende als Erstplatzierter vom Platz zu gehen und den Sieg nach Deutschland zu holen – ich empfinde das wirklich als große Ehre.
Ist mir schon klar: Die „Born Digital Wine Awards“ sind nicht die Fußball-Weltmeisterschaft, oder Olympia, oder die Film-Oscars. Aber … in ihrer Nische, im Bereich Wein, sind sie es eben doch irgendwie.
Apropos thank you: Danke natürlich auch an Frauke und Klaus – die seinerzeit Haus, Heim und Herd für diese tollkühne Foodpairing-Mutprobe öffneten. Und mir erlaubten, all diese Weine und Gläser in ihr Zuhause zu bringen. Ohne Euer Mitwirken wäre diese Geschichte nie zustande gekommen.
Danke an Sommelier und Weinteacher Ed Richter, der damals Pinotage mitbrachte in meine Hamburger fresh cuisine zum Grünkohl- und Wein-Pairing. Und damit wichtiger Baustein der Geschichte wurde.
Und ein ganz besonderes Danke hier an Ryan Opaz und Faye Cardwell, die zwei organisatorischen Köpfe hinter den „Born Digital Wine Awards“, und an Vinventions als Sponsor.
Danke für das alljährliche Engagement, die besten Weingeschichten zu finden und auszuzeichnen. Das ist ein grandioser, bedeutender Beitrag für besseren Wein-Journalismus weltweit.
Am Ende des Abends hat nur ein einziger anderssprachiger Beitrag der Übermacht englischsprachigen Contents etwas entgegenzusetzen
Vom Rest der Preisverleihung habe ich, ehrlich gesagt, nicht mehr viel mitgekriegt. Aber das lässt sich zum Glück alles nachlesen und auch nachträglich ansehen als Aufzeichnung der Zeremonie auf YouTube.
Denn es gab natürlich noch mehr Gewinner. Und auch die gehören gewürdigt: Der Award für „Best Visual Storytelling“ ging ebenfalls nach Chile, nämlich an Matt Wilson für seinen Film „The Land“.
„Best Interview“ ging endlich in die Vereinigten Staaten, für einen Beitrag von Cathy Huyghe für Forbes, in dem sie Alice Feiring, jawohl: genau die Laudatorin meines Beitrags, interviewte: „Alice Feiring on Satire and Misogyny in the Wine Industry“.
Und last but not least „Best Editorial / Opinion Wine Writing“ ebenfalls in die USA an Jane Anson „Why we need ethical fine wine“ im Decanter, einem der führenden amerikanischen Wein-Magazine.
Gratulation vom wineroom auch an diese drei glücklichen Gewinner! Halten wir fest: zwei Awards nach Nordamerika, zwei Awards nach Südamerika, drei Awards nach Europa – und einer davon nach Deutschland. Oder nochmal anders: sechs Awards für englischsprachigen Content, gerade mal ein Award für anderssprachigen, in diesem Fall deutschsprachigen Content.
Jawohl, wir haben die Korken knallen lassen. Und auf alle Sieger und Nominierten angestoßen. Cheers, Kollegen und Kolleginnen in aller Welt, es war mir ein Fest!
Und bei nächster Gelegenheit, wenn es die Umstände wieder zulassen, werden wir diesen Erfolg nochmal richtig feiern. Mit einer Lesung, mit Wein und mit hoffentlich vielen kulinarisch und vinologisch begeisterten Menschen, die live dabei sind.
Aber bis dahin gilt: …äh, ‚tschuldigung, kann ich bitte die Flasche Champagner nochmal haben?
Video mit Interview zum Award
Ein kurzes Video mit Award Winner Edgar Wilkening im Interview gibt es hier.
Die Pressemitteilung mit Texten, Fotos und Hintergrundinfos zum Download befindet sich hier.
Bester Food- & Wine-Content weltweit
Die „Grünkohl und Wein“-Foodpairing-Story ist der erste Beitrag überhaupt, der bei den „Born Digital Wine Awards“ einen Sieg für Deutschland nach Hause bringt. Internationale Goldmedaille: allein so etwas ist bei uns im wineroom schon Grund genug zum Feiern.
Nicht aus Hamburg, London, New York ...
Der „Best Food and Wine Content“ 2019 kommt nicht aus Hamburg, London, New York oder irgendeiner anderen einschlägigen Metropole. Und auch nicht von einem der großen, etablierten Content-Häuser. Sondern aus Minden an der Weser, von einem kleinen, unabhängigen Publisher. Alle Achtung!
Aus dem "Genuss-Land OWL"
Der „Best Food and Wine Content“ 2019 stammt aus einer Region, die normalerweise nicht für ihre kulinarische Kompetenz gerühmt wird. Ostwestfalen ist eher das Guantanamo der Wein- und Genussszene. Oder kündigt sich da eine Veränderung an? Werden wir künftig vom „Genuss-Land OWL“ sprechen und hören?
Die Born Digital Wine Awards gibt es seit 2011. Eine Initiative aus Portugal, die der wachsenden Bedeutung digitaler Medien in der internationalen Weinwelt Rechnung tragen will. Dafür werden Preise in fünf verschiedenen Kategorien verliehen plus zwei Sonderpreise für „Innovation“ und „Nachhaltigkeit“.
Im vergangenen Jahr war wineroom-Autor Ed Richter nominiert für die Born Digital Wine Awards in der Kategorie „Best Tourism Content With A Focus On Wine“. Seine wundervolle Reportage „Gedopt mit Trüffel und Wein: Per Rad auf Tour de Rhône“ finden Sie hier.
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