Pulp Kitchen – Kochen ist nix für Weicheier

von | Allgemein

Ist die Küche wirklich ein so blutrünstiger, brutaler Ort? Die drei Macher von „Pulp Kitchen“ behaupten jedenfalls: „Kochen ist grausam. Kochen ist Wahnsinn.“ Und frönen diesem Motto in ihrer Graphic Novel (neudeutsch für Comic-Buch) in allerschönster Lust und Laune.

Da wird nach Herzenlust das Hackebeilchen geschwungen und hemmungslos dem Sexismus in der Küche gefrönt. Nein, diese Pulp Kitchen ist meilenweit entfernt von gestärkten Tischdecken und kunstvoll aufgefalteten Serviettentüchern piekfeiner Restaurants. Hier spritzt das Blut, wird gelästert, gelüstet, geflucht und jeglichem essbaren Getier nach dem Leben getrachtet. So sehr, dass man fast schon Mitleid bekommen könnte mit dem niedlichen Pulpo, der auf die Teller soll.

Im Mittelpunkt all dieses Küchen-Wahnsinns: Koch Andi – gespielt von niemand anderem als Koch Andi.

Hä??

Kein Witz, kein Fehler. Einer der drei Macher des Buchs ist Koch Andi Zühlke. Der betreibt in Hamburg-Eimsbüttel das angesagte Mini-Restaurant „Zuehlke“ (Eppendorfer Weg 58). Er hat die Rezepte entwickelt. Und spielt sich im Comic selbst: Der leibhaftige Koch Andi sieht dem gezeichneten Koch Andi zum Verwechseln ähnlich (Kompliment an Illustrator Ralph G. Kretschmann).

Vergleichen Sie selbst: Der Typ hier unten links im Bild und der Typ, der ganz unten die blutbefleckte Schürze trägt: eineiige Zwillinge – bei der Geburt (des Buches) getrennt.


die-macher-zuehlke-becker-kretschmann

Die drei Macher des Küchen-Comic „Pulp Kitchen“: Koch Andi Zühlke, Autor Ulfert Becker und Illustrator Ralph G. Kretschmann. Achten Sie auf den Typ ganz links und vergleichen Sie ihn mal mit der Comic-Hauptfigur oben im Titelbild oder unten auf der Seite „Wein Natürell“. Fällt Ihnen was auf?


Der echte Koch Andi ist irgendwie wie der Comic-Koch Andi. Und der Comic-Andi hat wiederum viel vom echten Andi. Mit dieser Art Doppelbödigkeit spielt Pulp Kitchen von vorne bis hinten.

Auf jeder Seite fragt man sich: Ist das wahr, was wir da sehen, was wir lesen? Wird Pulpo tatsächlich mittels Arztspritzen mit Knoblauchöl vollgepumpt, damit er zart wird? Oder ist das einfach gut erfunden, um uns zu schockieren? Sind Restaurantbedienungen wirklich so sexgeil wie die üppig ausgestattete Susi, die jeden von Andis Sätzen zweideutig versteht? Oder hat Autor Ulfert Becker da doch über die Stränge geschlagen? (Allein das eine Formulierung, die Susi kaum unkommentiert gelassen hätte.)

Und wenn Comic-Koch Andi ein so reales Vorbild hat: Wer hat dann Modell gestanden für Susi? Wer für den notorisch übellaunigen Assistenten Schneider? Und wo tauchen Autor Becker und Zeichner Kretschmann im Comic auf? Fragen über Fragen. Und dann auch noch diese: Was hat das alles eigentlich mit Wein zu tun?

Nun – auch in der Pulp Kitchen, so blutrünstig sie auch daherkommen mag, gilt die goldene Küchenregel: „Man nehme ein Glas Wein und schütte es in den Koch.“ Und so wird im Buch immer wieder die ein oder andere Flasche geköpft. Typische Situation? Da fragt Aushilfe Schneider: „Chef? Für die Rotweinsauce … Nehmen wir da den 90er Romanée Conti oder den 14er Chateau de Malatête?“ Koch Andi: „Den Romanée natürlich! Die Flasche für 6000 Tacken – für die Gäste nur das Beste. Aber mach doch einfach, was du willst …“


pulp-kitchen-vorschau-musterseite-vin-naturel

Comic-Koch Andi ist – genauso wie der echte Koch Andi – großer Fan sogenannter Naturweine. Und erklärt uns auf einer Seite ausführlich, warum. Wenn Sie den echten Koch Andi mal in seinem Restaurant „Zuehlke“ besuchen (Hamburg, Eppendorfer Weg 58): Er bietet dort tatsächlich eine breite Auswahl Naturweine glasweise an. Probieren!


Was also ist Pulp Kitchen unterm Strich? Ein Comic-Buch? Ja, klar – aber nicht nur. Ein Rezeptbuch? Ja, das auch. Schwarze Parodie auf den grassierenden Trend zum political correctn-essen? Sowieso!

Aber im Grunde sind es ganz einfach: sechs fantastische Gerichte, deren Rezeptur und Zubereitung in herrlich groteske, irrwitzig absurde Geschichten übersetzt wurden. Gespickt nicht mit Speckstreifen, sondern mit jeder Menge fundiertem Küchenwissen. Denn allem Horror, Gemetzel und Sexismus zum Trotz – alle Geschichten enden dann doch versöhnlich. Nämlich mit einem Teller auf dem Tisch, der die gezeichneten Gäste ebenso wie uns lesende Zaungäste mit der Zunge schnalzen lässt.

Ja, richtig: Das ist alles andere als vegan, glutenfrei oder sonstwie unbedenklich. Garantiert nix für Leute mit Laktose- oder Sexismus-Intoleranz. Aber für alle anderen ein abgedrehter, mächtig turbulenter Küchenspaß. Kompliment, Jungs!


Titselseite Graphic Novel Pulp KitchenPulp Kitchen. Text Ulfert Becker, Zeichnungen Ralph G. Kretschmann, Rezepte Andi Zühlke. Edel GmbH, Hamburg. 130 Seiten, Broschur. ISBN 978-3-8419-0463-8. € 14,95.

Transparenz-Hinweis: Das besprochene Buch wurde vom Verlag unaufgefordert und kostenlos zur Verfügung gestellt. Rezensent Edgar Wilkening ist mit Autor Ulfert Becker persönlich befreundet und verkostet mit ihm gelegentlich Weine – vorzugsweise aus dem Burgund.

© Alle Rechte an Abbildungen aus dem Buch bei den Urhebern bzw. beim Verlag.

„And the award goes to …“ Höre ich da etwa Korken knallen im wineroom?

Vielleicht die härteste Challenge, der sich ein Weinliebhaber stellen kann:...

„We have to rethink everything“: Corona-Shutdown und seine (ja: positiven!) Folgen

Der Corona-Shutdown führte im wineroom zu einem Filmprojekt mit bemerkenswerter Bildgewalt und Tiefe.

Edgar Wilkening
Follow me

Gedopt mit Trüffel und Wein:
Per Rad auf Tour de Rhône

Ein Tour-Bericht in fünf kulinarischen Etappen – von Ed Richter   Er ist fast...

Restetrinken wegen Ruhestand

Wer diese feingliedrigen Rieslinge noch kennenlernen möchte, muss schnell...

Der Wein, der sieben von zehn Mal zurück in den Wingert geht

Er macht sich selbst, der Wein. Ohne äußere Eingriffe des Winzers. Hübsche...

Mouton Rothschild 1974

Was ist die Vorgeschichte? Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot...

Die schönste Weinstraße führt nach Margreid zur „Summa“

Löwengang Chardonnay Jahrgangsvertikale bei Familie Lageder in Margreid während der Summa 2024. Der Münchener Sommelier und Weinteacher Ed Richter nimmt uns mit bei einem Besuch im Löwengang – mit gleichnamigen Weinen. Also nur keine Angst vor großen Tieren, bitte!

Edgar Wilkening
Follow me

100% Wein – Weinwissen für Probierer, Genießer & Kenner

Was flattert uns denn da auf den Verkostertisch? Sieht nicht nach Flasche aus....

Nozzole La Forra 2011 Gran Selezione

Was war im Glas? La Forra Chianti Classico Gran Selezione 2011, 14,5 % vol....

Jurtschitsch GrüVe 2015

Was war im Glas?GrüVe 2015, Grüner Veltliner, trocken, 11,5 % vol.,...

Lambrusco-Gelee

Vor kurzem standen hier vier Buddels Lambrusco auf dem Tisch. Den...

Wein versus Bier, Gin, Limo
Runde Vier: Wie hoch ist der Zeitaufwand?

Drei Runden lang gingen die Punkte in unserem Fakten-Check klar an Wein....

Rotwein on the rocks!
Côtes du Rhône mit Sebastian Bordthäuser

Red on the rocks! Rotwein auf Eis. Gibt's nicht, meinen Sie? Von wegen. Kommt...

Durst Sylvaner 2013

Was gab’s ins Glas?Durst Sylvaner 2013, Pfälzer Landwein, 12,5 % vol.Welche...

Artadi Valdegines 2016

"Tempranillo??? Nie im Leben ist das Tempranillo! Syrah, meinetwegen,...

Road Trip durch Neuseeland mit Christoph Raffelt

Andere Seite der Welt, andere Erd-Halbkugel, anderer Rhythmus: Es gehört zu...
Edgar Wilkening
Follow me